Die Preisfrage spaltet die Welt der Verkäufer, der Verkaufstrainer − auch mir wird sie immer mal wieder gestellt. "Die einen sagen, wir sollen erst über den Nutzen sprechen und den Preis danach nennen. Andere schwören darauf, einen möglichen Kunden sofort mit dem Preis zu konfrontieren. Was ist denn nun richtig oder zumindest besser?"
Noch vor ein paar Jahren habe ich mich klar im Lager der "Erst der Nutzen, dann der Preis"-Verfechter positioniert. Heute sehe ich das deutlich entspannter. Weil es im Grund egal ist und zwei ganz andere Fragen eine viel bedeutendere Rolle spielen. Welche, das erfahren Sie weiter unten. Lassen Sie mich vorher die beiden Alternativen mit ihren Vor-, aber auch Nachteilen gegenüberstellen.
Erst der Nutzen, dann der Preis
Der Charme dieser Methode liegt vor allem darin, dass Sie das unter Umständen sensible bis heikle Thema Preis nicht sofort auf dem Tisch haben. Sie können sich ausführlich den Motiven, Bedürfnissen und Wünschen Ihres Kunden widmen und diese in Beziehung zu den Produkteigenschaften und dem individuellen Kundennutzen setzen. Immer mit der stillen Hoffnung, dass der Kunde überzeugt ist und innerlich bereits eine Kauf-, nein, eine "Will ich haben"-Entscheidung getroffen hat, wenn Sie mit ihm über den Preis reden müssen.Als früherer Verfechter dieser Alternative habe ich argumentiert, dass der Preis bereits relativiert ist bzw. in ein attraktives Verhältnis zum Kundennutzen gesetzt wurde, wenn er zur Sprache kommt. Und das liegt zu großen Teilen in Ihrer Hand als Verkäufer. Der Haken: Es gibt immer noch genug potenzielle Kunden, die genau an dieser Stelle aus dem Verkaufsgespräch aussteigen. Weil sie den genannten Preis nicht zahlen wollen oder nicht zahlen können.
Wenn Ihre Produkte beratungsarm und wenig individuell, wenn Verkaufsgespräche relativ kurz sind und Zeit keine zu knappe Ressource ist, ist das alles kein Problem. Bei beratungsintensiven Produkten, langen Verkaufsprozessen und individueller Zeitknappheit beim Verkäufer verursacht jeder Abbruch Kosten, denen kein Erlös gegenübersteht.
Methode: Erst der Nutzen, dann der Preis
Vorteile: ausführliches Gespräch über Eigenschaften, Nutzen; Relativierung des Preises
Nachteile: hohe Zeitinvestition bei gleichzeitig höherem Abbruchrisiko
Erst der Preis, dann der Nutzen
Falls Sie Ihren Preis offen auszeichnen müssen und der Kunde ihn wahrnimmt, kommen Sie um diese Methode praktisch nicht herum. Aber auch sonst hat diese Option aus verschiedenen Gründen ihre Anhänger. Zum einen kann der Preis für den Kunden ein wichtiges bis ausschlaggebendes Kaufargument sein. Entweder ist er besonders niedrig und deshalb so attraktiv. Oder er ist besonders hoch und transportiert dadurch ein Qualitäts- und/oder Luxusversprechen. In beiden Fällen steht der Preis in direkter Verbindung mit dem Nutzen.Auch wenn der Preis nicht das direkte Kaufargument ist, hat eine Preisnennung am Anfang ihre Berechtigung.
Die Befürworter dieser Methode führen zwei wichtige Argumente ins Feld:
- Der Preis hat eine klare Filterfunktion. Schon am Anfang des Verkaufsgesprächs wird deutlich, wer sich diese Investition nicht leisten kann oder will.
- Nach dem Motto "Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende" ist das leidige Thema Preis gleich am Anfang vom Tisch. Sie sind über den Berg und von nun an wird's für Verkäufer und Käufer fast schon gemütlich ... ;-)
Methode: Erst der Preis, dann der Nutzen
Vorteile: Filterfunktion des Preises, offenes Gespräch ohne unterschwellige "Preisangst"
Nachteile: bei schnellem Gesprächsende keine Chance zur Nutzenpräsentation, "zu teuer"-Image bleibt haften
Das eine tun, ohne das andere zu lassen
Wie bereits oben erwähnt, sehe ich das heute deutlich entspannter. Ich lege mich nicht auf die eine oder andere Variante fest. Sie müssen das ebenfalls nicht. Es gibt elegante Möglichkeiten, den potenziellen Käufer auf seine Preissensibilität "abzuklopfen".Die einfachste ist immer noch: Fragen Sie!
- Wie viel ist Ihnen die Lösung/das Produkt wert?
- Kennen Sie die Preisspanne für ähnliche auf dem Markt erhältliche Lösungen? Was glauben Sie, in welchem Bereich wir uns da bewegen?
- Welches Budget haben Sie für diese Investition geplant?
- Wie viel können/wollen Sie für dieses Produkt/diese Maßnahme investieren?
- Welche Rolle spielt der Preis für Ihre Entscheidung?
- Was kostet es Sie, wenn Sie das Problem nicht lösen?
- Welche Ersparnis/Erlössteigerung erwarten Sie durch die Problemlösung?
- Ich möchte Ihnen gleich einen (grob kalkulierten) Preis nennen und Ihnen erklären, wie viel Leistung Sie dafür bekommen. Dann können Sie sich das gleich ins richtige Verhältnis setzen. Ist das in dieser Reihenfolge in Ordnung für Sie?
- Wenn der Preis für Sie nicht das entscheidende Kriterium ist, lassen Sie uns erst gemeinsam anschauen, was Sie von einer Zusammenarbeit haben. Ist das o.k.?
- Sie wissen ja sicher, dass wir in unserem Segment der Technologieführer sind. Wenn Sie sich bewusst für die Exzellenzstufe in Sachen Qualität und Service entschieden haben, ist Ihnen sicher bewusst, dass diese Leistung ihren Preis hat …
Probieren Sie, variieren Sie.
Nun bin ich Ihnen noch etwas schuldig: Wenn nicht die nach Nutzen vor Preis oder Preis vor Nutzen die entscheidende Frage ist − welche dann? Für mich sind es ganz klar diese beiden:
Wie stehen Sie zu Ihrem Preis?
Was ist Ihnen Ihr Preis wert?
Was ich damit meine, verdeutliche ich Ihnen an einem Beispiel. Hin und wieder twittere ich ein wenig in der Weltgeschichte herum. Dort folge ich Freunden, Bekannten, Kollegen, Fremden. Und einige von denen folgen mir. Vor ein paar Wochen bekam ich eine Direktnachricht (die sind, wie der Name sagt, direkt an eine Person gerichtet und nicht öffentlich lesbar) von einem mir nicht persönlich bekanntem Kollegen, dem ich folge. Solche Direktnachrichten sind nicht ungewöhnlich für einen direkten Austausch oder ein kurzes "Danke fürs Folgen!". Letzteres war auch der Anlass für diese Direktnachricht des Kollegen.Das ganze hatte jedoch schon auf den ersten Blick drei gewaltige Haken:
- Dass ich diesem Kollegen gefolgt bin, lag inzwischen mehr als ein Jahr zurück. Man ließ sich also viel Zeit für das "herzlich willkommen im Twitter-Netzwerk von …"
- Genau: In dem Stil (3. Person Singular) ging es weiter. Woraus ich schlussfolgerte, dass mich mit "Hallo Heiko," nicht er selbst, sondern irgendjemand aus seinem Büro anquatschte.
- Nach dem Netzwerk-Willkommengruß folgte das zwanzigfache an Eigenwerbung: Sieh Einsichten in sein Leben, folge ihm auf Facebook, kaufe sein Zeugs, abonniere seinen Newsletter, stelle ihm Fragen, teile seine Inhalte …
Ich (ja: ICH!) bekomme einen Sonderpreis für eines seiner großartigen Events. Statt einen Preis im oberen dreistelligen Bereich (für den man Karten kaufen kann) zahle ich (bei Angabe eines ziemlich beliebigen und gar nicht individuellen Stichworts) nur sage und schreibe 99 EUR!
Wow!
Ich habe nicht zugeschlagen. Ich konnte dem Unwiderstehlichen widerstehen.Und war wenig verwundert, dass dieses Exklusivangebot ein paar Tage später noch öffentlich durch alle möglichen Kanäle rauschte. Verwundert waren sicher die, die vielleicht eben noch den Mondpreis gezahlt haben. Und sich jetzt verdutzt bis verärgert die Augen reiben, weil das exklusive Großereignis nun plötzlich angeboten wird wie sauer Bier.
Preis und Nutzen stehen in einer engen Verbindung miteinander. Was gestern so nützlich und exklusiv war, dass Sie es auch preislich entsprechend positionieren, können Sie schlecht heute zum Schleuderpreis mit knapp 90 Prozent Rabatt anbieten. Das haargenau identische Angebot.
Genau das meine ich mit der Frage:
Wie stehen Sie zu Ihrem Preis? Was ist Ihnen Ihr Preis wert?
Oder, um wieder zum Ausgangspunkt zurückzukommen:
Wenn Sie nicht zu Ihrem Preis stehen und Ihnen Ihr Preis nichts wert ist, ist es so ziemlich egal, wo er steht. Vor oder hinter dem Nutzen.
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